• Sergey Nazarov sieht DeFi derzeit bei rund 30 Prozent seines Entwicklungspfads und hält eine globale Nutzung von bis zu 50 Prozent für realistisch, sobald rechtliche Rahmenbedingungen Vertrauen schaffen.
  • Nach Ansicht von Branchenvertretern bleiben regulatorische Unsicherheit, KYC/AML-Anforderungen, Liquidität, Transparenz und technische Sicherheitsrisiken die größten Hürden für eine breite Einführung.

Dezentrale Finanzanwendungen, kurz DeFi, gelten seit Jahren als Gegenentwurf zum traditionellen Bankensystem. Für Sergey Nazarov, Mitgründer von Chainlink, ist die Branche inzwischen aus dem Experimentierstadium herausgewachsen, aber noch weit von ihrem Endpotenzial entfernt.

„Ich denke, wir sind etwa 30 Prozent des Weges“,

sagte Nazarov in einem Interview mit MN-Capital-Gründer Michaël van de Poppe.

DeFi umfasst Peer-to-Peer-Finanzdienste auf Blockchain-Basis, darunter Lending, Trading, Derivate und Asset-Management, die ohne zentrale Intermediäre auskommen. Nazarov traut dieser Architektur zu, in Richtung 50 Prozent globaler Nutzung vorzudringen, sobald Regulierung und Gesetzgebung klar genug erklären können, warum die Systeme verlässlich sind.

Das Ziel ist aus seiner Sicht nicht, die gesamte Finanzwelt zu ersetzen, sondern einen signifikanten Anteil der Abläufe auf automatisierte, transparente Protokolle zu verlagern.

Andere Branchenvertreter sehen ähnliche Bremsfaktoren. Michael Egorov, Gründer von Curve Finance, hatte bereits im Februar die größten Hürden in regulatorischer und rechtlicher Unklarheit verortet.

Hinzu komme die Notwendigkeit, Know Your Customer (KYC) und Anti Money Laundering (AML) Anforderungen in DeFi-Kompositionen zu integrieren, ohne die Kernvorteile der Technologien – etwa Permissionless-Zugang und programmierbare Liquidität – zu verlieren.

Regulatorische Dominoeffekte und institutionelle Anforderungen

Nazarov erwartet, dass der entscheidende Anstoß von den USA ausgehen wird.

„Viele Regierungen folgen dem, was die USA tun, weil sie mit dem US-Finanzsystem kompatibel sein wollen“, erklärte er.

Aus seiner Sicht könnte eine klare US-Positionierung zu DeFi einen Dominoeffekt auslösen. Länder, die Zugang zu Dollar-Liquidität, Korrespondenzbanken und Kapitalmärkten behalten wollen, würden ihre Rahmenwerke entsprechend ausrichten.

Die Kernfragen sind dabei zweigeteilt. Einerseits geht es um Rechtsklarheit. DeFi-Projekte müssen wissen, ob und wann sie als Wertpapierdienstleister, Handelsplattformen oder Verwahrer gelten und welche Lizenzen dafür erforderlich sind.

Andererseits steht die praktische Umsetzung von KYC und AML im Vordergrund. Modelle wie On-Chain-Identitäten, Zero-Knowledge-basierte Nachweise und Permissioned Pools werden als mögliche Brücken zwischen Reguliereranforderungen und DeFi-Logik diskutiert.

Egorov hat in diesem Zusammenhang auf weitere Baustellen hingewiesen. Liquidität sei in DeFi oft fragmentiert, was Slippage und Tail-Risiken verstärke. Transparenz sei zwar auf Protokollebene gegeben, bleibe aber für viele institutionelle Nutzer schwer auswertbar, solange Berichts- und Risikoformate nicht an konventionelle Standards angepasst seien.

Hinzu kommen technische Sicherheitsrisiken wie Smart-Contract-Bugs, Bridge-Exploits oder ökonomische Angriffe auf Oracles und AMMs.

Für institutionelle Marktteilnehmer hängt DeFi-Adoption damit an mehreren Bedingungen. Audits und formale Verifikation von Protokollen, Versicherungslösungen, robuste Governance-Rahmen, standardisierte Risiko-Reports und RegTech-Schnittstellen müssen zusammenspielen, bevor große Volumina in On-Chain-Strukturen verlagert werden.

Gleichzeitig bleibt für viele Akteure die Frage offen, wie sich Haftung und Aufsicht verteilen, wenn wesentliche Teile der Infrastruktur aus Open-Source-Code und verteilten Entscheidungsprozessen bestehen.

Nazarovs 30-Prozent-Schätzung ist vor diesem Hintergrund weniger eine exakte Metrik als eine Einordnung der Reifestufe. DeFi hat bewiesen, dass es komplexe Finanzlogik auf Ketten abbilden kann.

Ob daraus eine globale Adoptionsrate von 50 Prozent wird, hängt nun weniger von Codezeilen ab, sondern von Gesetzestexten, Regulierungsverfahren und der Bereitschaft etablierter Institute, sich auf neue, programmierbare Marktinfrastrukturen einzulassen.